Sonntag, 6. Februar 2011

In zehn Jahren sind wir weg vom Fleisch



Ausgerechnet ein Vertreter des Handels kam während der Podiumsdiskussion der NRW-Grünen am vergangenen Freitag zu der Aussage, dass es in "10 Jahren eine zwanghafte Veränderung weg vom Fleisch geben wird". Zugegeben, damit überraschte mich Hans-Jürgen Matern, seit 18 Jahren verantwortlich für die Qualitätssicherung der METRO-Gruppe. Er bildete zusammen mit Karl-Heinz Schulze zur Wiesch, Landwirt und Vizepräsident des Westfälisch-Lippischen Bauernverbandes, Johannes Remmel, NRW-Landwirtschafts- und Verbraucherminister und Karen Duve, Bestsellerautorin, das Podium mit Moderatorin Monika Düker, Grünen-Vorsitzende in NRW. Die Erkenntnis des Herrn Matern konnte aber natürlich nur auf den ersten Blick erstaunen, denn seine sonstigen Wortbeiträge ließen nicht erkennen, dass er an einer ökologischen Wende arbeitet. Er betonte damit lediglich die Tatsache, dass die Schere zwischen arm und reich global gesehen noch weiter auseinander klaffen wird und es dann eben nur den finanziell privilegierten Menschen möglich sein wird, Fleisch zu essen.

Der Abend, übrigens bestens besucht von Menschen jedweder Coleur, bot einen Schweinsgalopp quer durch die katastrophalen Mechanismen der Lebensmittelindustrie. Und mir war der ein oder andere Zusammenhang bisher nicht bekannt: Ich wusste zum Beispiel nicht, dass die Verursacherfirma für den jüngsten Dioxinskandal Insolvenz anmelden konnte und somit straffrei blieb. Auch dass Lebensmittelproduzenten die Grenzwerte für Pestizide durch die Verwendung mehrerer Pestizide umgehen, war mir neu. Man bleibt eben mit jedem einzelnen Pestizid unter dem Höchstwert und hat dann in der Summe natürlich eine viel höhere Belastung, brrr. Überhaupt war an diesem Abend wenig Hoffnungsvolles zu hören: Zahlreiche Beispiele fehlgeschlagener Kontrollen im Lebensmittelsektor kamen sowohl vom Publikum als auch vom Podium. Minister Remmel lobte zwar das von Frau Aigner gemeinsam mit den Ländern erarbeitete 10-Punkte-Programm für eine bessere Kontrolle der Futtermittelindustrie, machte aber gleichzeitig deutlich, dass auf EU-Ebene bereits die Forderung nach einer Positiv-Liste verwässert wird. Und eine Pflichtversicherung der Bauern gegen Schäden, die aus kriminellen Futtermittelpanschereien entstehen (Hofsperrung, zwangsweise Massenschlachtung, fallende Preise) ist schon wieder vom Tisch. Das hätte den Effekt gehabt, dass natürlich große Versicherungsgesellschaften eigene Kontrollen und Recherchen durchgeführt hätten, um Schäden im Vorfeld zu vermeiden. Auch der Druck auf die Bauern, die laut Vizepräsident des Bauernverbandes nur überleben können, wenn sie wachsen und wachsen und wachsen, war Thema, ebenso die Monopolisierung des weltweiten Samenhandels. Also kurz gesagt, es waren wahnsinnig viele Sachzusammenhänge, die da angerissen wurden, ein gut informiertes und als Landwirt / Ökolandwirt teilweise direkt betroffenes Publikum sorgte für rege Diskussion.

Zwei Dinge waren mir fürs eigene Weiterdenken wichtig: Die Wertschätzung der Lebensmittel, also dem gegenüber, was man seinem eigenen Körper "antut", zeugt von Wertschätzung sich selbst gegenüber. So hatte ich das bisher noch nicht gedacht. Fand ich einen spannenden Gedanken, den Karen Duve einwarf. Zweiter Punkt: In der zweieinhalb-stündigen Diskussion wurde kaum über Alternativen zum bestehenden System geredet. Dieses Fokussieren auf die unzähligen Probleme, haarsträubenden Zusammenhänge und angesichts des Welthungers eigentlich blutbesudelten "normalen" Lebensmittel lähmt Kopf und Tatkraft (jedenfalls bei mir). Mein Gegenmittel: Nach der Veranstaltung mit dem ein oder anderen noch über eine im wahrsten Sinne des Wortes naheliegende Lösung reden: Entrup 119 und das CSA-Projekt. Ich finde es enorm wichtig, unser Modell immer wieder als machbare und zukunftsfähige Alternative zum Bestehenden zu thematisieren.

Was sonst noch geschah:
Thorsten hatte schon vor Beginn der Veranstaltung Handzettel im Foyer verteilt, das war PR mitten in die Zielgruppe hinein.
Karen Duve wurde von Thorsten und mir im Sechs-Augen-Gespräch ausführlich über Entrup 119 informiert. Sie war sehr angetan und wird hoffentlich die Idee weitertragen Richtung Brandenburg, da lebt sie nämlich.
Maria-Klein-Schmeink, Grünen-Politikerin und Mitglied des Bundestages, weiß jetzt auch von uns. Sie schlug vor, einen Ortstermin auf dem Hof zu machen, um sich über dieses positive Verbraucher-Produzenten-Modell zu informieren. Find ich gut, am besten kommen nach und nach Vertreter aller Parteien.
Eine faszinierende Zahlenaufzählerei: Die Pizza ist das komplexeste Lebensmittel unter 70.000 unterschiedlcihen Produkten, die die Metro im Sortiment hat. Mehr als 100 verschieden Rohstoffe die in 15 Ländern in fünf Kontinenten beschafft werden, landen als TK-Pizza für 1,99 Euro im Regal. Das sollte eigentlich ein Beispiel für das leistungsfähige Kontrollsystem bei Metro sein, aber das ist gründlich in die Hose gegangen. Falscher Text im falschen Kontext würde ich sagen, ein solcher Preis kann ja nur mit erbärmlichen Produktionsbedingungen für Mensch und Tier erreicht werden. Wenn in dem Preis auch noch eine gigantische Qualitätssicherung mit einem millionenschweren Budget drin sein muss...
Ach, was bin ich froh, dass es Entrup 119 gibt. Handel adé, Essen aus dem Supermarkt tut weh. Dirten

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen