Montag, 16. Juni 2014

Wohnprojekt und solidarische Landwirtschaft

Ich komme nach Hause und der aromatische Duft von mit Schafskäse überbackener Mangold-Lasagne liegt in der Luft. Es ist noch nicht spät – eine gute Gelegenheit heute zur Abwechslung mal wieder selber zu kochen.

Es ist Dienstag, das CSA-Depot ist frisch beliefert. Seitdem wir mit 80 Haushalten Mitglied bei unserer Solidarischen Landwirtschaft sind, kommt Fabian zweimal in der Woche vorbei und packt unser Lager voll. Heute gab es Radieschen, Berge von Salat, Kohlrabi, Rübchen, Gurke, Fenchel, Frühlingszwiebeln, Kartoffeln und natürlich der wunderbare bunte Mangold. Dazu ein Kühlschrank voll unterschiedlicher Käsesorten, reichlich Eier und geschätzte 100 Brote. Ich nehme, was ich heute zum Kochen brauche, scanne schnell noch ein Tütchen Reis ein, setze eine Mütze auf und betrete den Tiefkühlraum.

Minus 20 Grad kalte Luft schlägt mir entgegen. Ich gehe nach hinten, vorbei an der Tür mit der blauen Aufschrift „Carlo“ und öffne mit dem magischen Schlüsselanhänger unsere private Kühlbox. Die Box ist noch gut gefüllt von der letzten Fleischlieferung. Heute brauche ich nur ein wenig Lamm-Hack, den Braten gibt es erst in zwei Wochen – zum Geburtstag. Außerdem könnten die Himbeeren vom letzten Jahr langsam mal weg, ich nehme die letzte Dose mit.

Es ist schön in unserer Maisonette-Wohnung. Die Abendsonne scheint durch die fast vier Meter hohen Fenster in den Wohnbereich. Links ist unsere Sitzecke, ein Erbstück von Oma, rechts eine Küchenzeile und in der Mitte ein massiver Holztisch auf dem ich einen Zettel finde: Bin gerade noch mit Ute im Waschsalon, freue mich auf das Essen, bis später, Küsschen ;****

Ich muss gestehen – wirklich groß ist unsere Wohnung ja nicht. Der hohe Wohnbereich mit den riesigen Fenstern, die Treppe nach oben zum Schlafraum und der Verzicht auf eine ausgewachsene Küche lässt alles etwas größer erscheinen als es wirklich ist. Als Rückzugsort, zum Schlafen und auch zum Kochen für zwei oder drei Personen ist alles bestens. Wir sind ohnehin meistens wo anders – und wenn wir mal Besuch bekommen, gehen wir ganz nach oben in die Gemeinschaftsküche neben dem Kräutergarten und genießen beim Essen den großartigen Ausblick über unsere kleine Siedlung, zu den Bienenstöcken der Beginen-Frauen nebenan, der Sauna auf dem Dach der Stadthaus-Leute und den drei erst kürzlich errichteten Wigwams im Garten.

Wir haben die gemeinschaftliche Infrastruktur unter den verschiedenen Häusern unserer Siedlung ein wenig aufgeteilt. Die Beginen sind für den Honig zuständig und die Organisation des Gemeinschaftsgartens, die Stadthaus-Leute kümmern sich um die Sauna und die zentrale Werkstatt und wir haben Carlo.

Carlo, unser wunderbarer Koch und Food-Manager, hat das unglaubliche Talent aus all den unterschiedlichen Gemüsesorten, die uns unser Demeterhof Entrup 119 liefert, die leckersten vegetarischen Gerichte zu zaubern. Unvergesslich sind die 30 Varianten von Rote-Beete im letzten Winter oder die faszinierende Spinat-Frischkäse-Ravioli mit Kürbis-Mascarpone-Creme zu Margaretes Geburtstag.

Unsere Taverne hat sich in den letzten beiden Jahren zu einer festen Institution im Quartier entwickelt. Schon morgens trifft man hier die ersten Frühstücks-Besucher: Zeitung lesende Senioren, Gäste aus unserem Bed & Breakfast und Mütter und Väter mit kleinen Kindern, die entspannt ihren Morgenkaffee auf der Terrasse direkt neben dem Sandkasten genießen. Immer kommen auch eilig die Büroarbeiter vorbei, die schnell noch ihren Henkelmann 2.0 einpacken – morgen wird der Duft von Mangold-Lasagne in 20 Büros getragen. Gegen Mittag kommen dann die 20 Kinder aus der Kita, ein paar Angestellte aus den umliegenden Büros und natürlich unsere Stammgäste: 6 Senioren, die keine Lust auf Essen auf Rädern haben.

Carlo und sein Team aus teils ehrenamtlichen Helfern sind ein wesentliches Rückgrat bei unserer Versorgung mit ökologischen Lebensmitteln. Wer es aus zeitlichen Gründen nicht schafft oder einfach keine Lust oder keine Möglichkeit mehr hat selber zu kochen, wird hier bestens versorgt. Wer selber kochen möchte, bekommt in der Taverne Anregungen und Rezepte. Mit gemeinschaftlichen Koch-Aktionen wird gerade auch bei den jungen Mitbewohnern das Bewusstsein für gutes Essen geschärft – und wenn einmal besonders viel Gemüse zu verarbeiten ist, wird in gemeinsamen Aktionen eingekocht, getrocknet, eingelegt oder eingefroren.

Später abends treffe ich mich noch mit Markus auf eine Tasse Tee aus frisch gepflückter marokkanischer Minze im Gewächshaus – die verlorene Billard-Partie von gestern bedarf doch noch einer Revanche.





Thorsten Liebold ist Mitglied der Solidarischen Landwirtschaft Entrup 119 und Mitgründer einer Wohnprojekt-Initiative in Münster. Ziel der Initiative ist es – möglicherweise gemeinsam mit anderen Wohnprojekt-Initiativen – auf dem Gelände der Oxford-Kaserne in Münster-Gievenbeck ein ökologisches Mehrgenerationen-Wohnprojekt zu gründen.

Der vorliegende Text ist ein Diskussionsbeitrag von Thorsten. Fast alle „Besonderheiten“ im Text basieren auf Ideen, die in verschiedenen anderen Wohnprojekten bereits umgesetzt wurden.

Besonders erwähnenswert ist die Initiative „Neustart Schweiz“ die in der Broschüre „Nachbarschaften entwickeln!“ die symbiotische Verbindung von urbanen Nachbarschaften mit einer konkreten Landwirtschaft in der Nähe beschreibt.
http://neustartschweiz.ch/nachbarschaften/

Sehr durchdacht ist auch die Struktur der „Kalkbreite“, einem in diesen Tagen fertiggestellten Wohnprojekt in Zürich. Hier kommen die Bienen, die Sauna und der
Tiefkühlraum her.
http://anleitung.kalkbreite.net/

Die Idee mit den Maisonette-Wohnungen, der Kita und der Kultur kommt von der „Sargfabrik“ bzw. von „Miss Sargfabrik“ aus Wien. Das mehrfach preisgekrönte Projekt existiert bereits seit den 90er Jahren und erfreut sich dauerhafter Beliebtheit bei Bewohner und Anwohnern.
http://www.sargfabrik.at/pics/Presseinfos/2006_10_Falter-Beilage.pdf

Wer Interesse hat und sich gerne an der Entwicklung des Projektes beteiligen möchte, meldet sich am besten einfach bei Thorsten.

1 Kommentar:

  1. ...super Vision... ich bau mit daran... aber du hast das WIGWAM im Garten vergessen ;-) !!!

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